Beim Motorrad fahren ist es von entscheidender Bedeutung, sich mit der Fahrphysik eingehender auseinander zu setzen, da sie ein bestimmtes Fahrverhalten erforderlich macht.
Ein Zweirad besitzt auch im Fahrbetrieb grundsätzlich nur ein labiles Gleichgewicht, das durch mannigfache Fremdeinflüsse gestört werden kann. Wird dieses Gleichgewicht nachhaltig gestört, kommt es zum Sturz. Die daraus hervorgehenden Schäden an Mensch und Maschine können erheblich sein, auch dann, wenn der Sturz nur bei relativ geringer Geschwindigkeit stattfindet.
Fahrstabilität
Ein Zweirad – Motorrad oder Fahrrad – wird nicht durch die Lenkbewegungen in der Spur gehalten, sondern durch die Kreiselstabilisationskräfte (Gyroskopischer Effekt) der Räder. In Abhängigkeit von Radius, Gewicht und Gewichtsverteilung nehmen diese zwischen 10 und 20 km/h in einem Maße zu, dass ein ständiges Ausbalancieren nicht mehr notwendig ist. Wie ein über den Tisch gerolltes Fünf-Mark- Stück behalten sie ihre senkrechte Ausrichtung selbständig über lange Zeit bei und sind sogar imstande, leichte Störungen durch die für Kreisel typischen Reaktionskräfte auf gewaltsame Veränderungen der Kreiselachse „auszusteuern“ (s. auch Gyroskopischer Effekt bei Zweirädern) .
Richtungswechsel
Die Kreiselkräften sind auch ursächlich für das geschwindigkeitsabhängig unterschiedliche Lenkverhalten. Nachdem sie zunehmend stabilisierend zu wirken beginnen, erfordern Lenkbewegungen stärkere Kräfte. Grundsätzlich ist bei einem Zweirad jede Richtungsänderung, die nicht in die ursprüngliche Fahrlinie zurückführen soll (wie beim schnellen Ausweichen vor kleinen Hindernissen) durch eine Gegenbewegung des Lenkers einzuleiten, um in die erforderliche Schräglage abzukippen. Bei höheren Geschwindigkeiten kommt dieser Schräglage eine essentielle Bedeutung auch deshalb zu, weil erst durch die oben angesprochenen Reaktionskräfte ein Einlenken überhaupt ermöglicht wird.
Wer Erfahrungen mit unmotorisierten Zweirädern hat, macht dies unbewusst richtig, ist in aller Regel aber dennoch überrascht, wenn er sich bewusst vergegenwärtigt, dass er dabei zunächst in die entgegengesetzte Richtung lenkt.
Kurvenfahrt
Es ist nur ein geringer Impuls notwendig – ein Drücken am kurveninneren oder ein Ziehen am kurvenäusseren Lenkerende, um die Schräglage einzuleiten. Das Motorrad beginnt in die Kurve zu kippen, verlagert seinen Schwerpunkt zur Kurveninnenseite und wird durch die Zentrifugalkraft in Verbindung mit den Seitenführungskräften der Reifen („Grip“ vgl. Haftgrenze und Kammscher Kreis) in einer stabilen Schräglage gehalten.
Die Leichtigkeit, mit der geübte Motorradfahrer diese komplexe Zusammenspiel verschiedener Manöver beherrschen, ist sicherlich Teil der Faszination, die es auf viele Menschen ausübt.
Der Anfänger wird das Kraftrad eher kraftlos durch die Kurve rollen lassen, sobald er sich jedoch ein Gefühl für Kuvenzustände antrainiert hat, wird er merken, dass Bremsen, Schalten und Gasgeben auch in der Kurve möglich ist. In der stabilen Kurvenlage führt sanftes Mitbremsen oder Gaswegnahme dazu, dass sich das Kraftrad weiter schräg legt, kräftigeres Bremsen vorne bzw. abruptes Schließen des Gashahns führt dagegen zu einem Aufstellmoment am Vorderrad, kräftiges Bremsen zum Verlust des Grips (vgl. Lowsider).
Herunterschalten erfordert Gefühl und Zwischengas, da das Hinterrad ansonsten evtl. stempelt. Wird in der stabilen Kurvenlage die Geschwindigkeit erhöht, beginnt sich das Kraftrad aufgrund der zunehmenden Zentrifugalkraft aufzurichten, sodass zum Kurvenausgang hin aus der Kurve herausbeschleunigt werden kann. Übermäßiges Gasaufziehen in Schräglage führt jedoch zum Ausbrechen des Kraftrads (vgl. Lowsider).
Jeder Lowsider trägt den Highsider in sich, da es möglich ist, dass die Reifen des ausbrechenden Kraftrades statt gänzlich wegzurutschen, plötzlich wieder Grip aufbauen, was zu einem schlagartigen Aufrichten des Fahrzeuges führt und meist in einem Überschlag endet. Bei einem Sturz ist der Lowsider in aller Regel vorzuziehen, da das Kraftrad dabei vor dem Fahrer wegrutscht, statt nach einem Überschlag auf ihn zu fallen oder sich über ihn zu schieben. Wird ein Lowsider unvermeidlich, ist es daher sinnvoller das Motorrad geordnet abzulegen statt krampfhaft gegen das Wegrutschen anzukämpfen.
Vorbereitung einer Kurve
Jede Kurve besitzt eine spezifische maximale Kurvenhöchstgeschwindigkeit, die sich aus dem gegebenen Radius und dem Untergrund bzw. der Bereifung (vgl. Haftgrenze), sowie Nebeneinflüssen wie z.B. Qualität des Fahrwerks, zwingend ergibt. Individuelle Abstriche am eingesetzten Material und beständig variierende Haftgrenzen durch sich verändernde Untergrundbeschaffenheit, lassen allenfalls eine optimale Kurvengeschwindigkeit erreichen.
Da aber nicht ausgeschöpfte Geschwindigkeitsreserven Sicherheitsreserven bedeuten, ist es wichtig ein paar Grundregeln zu beherzigen:
Bei gegebenem Kurvenradius ist im Straßenverkehr (Fahrseite beachten!) jeweils die Rechtskurve die langsamere, da sie einen kleineren Spurradius als die Linkskurve besitzt.
Um eine Kurve voll auszureizen, fährt man sie weit außen an (man sollte sich aber angewöhnen grundsätzlich nur auf der eigenen Fahrspur zu bleiben) und setzt einen möglichst späten Einlenkpunkt, damit weitet man den Spurradius, schneidet quasi einen Teil der Kurvenenge ab und verkürzt so den Schräglage erfordernden Kurvenabschnitt deutlich. Ein späterer Einlenkpunkt ermöglicht einen späteren Bremspunkt, man bleibt also nicht nur länger schnell, sondern kann die ganze Kurve etwas schneller fahren, als bei einem engeren Radius.
Weil sich Kurven unter Zug, d.h. mit angelegtem Gas (vgl. Stützgas) sicherer fahren lassen, als wenn das Motorrad untertourig hindurchdümpelt, ist es in engen Kurven immer sinnvoll zurück zu schalten, auch dann, wenn es mit dem aktuellen Gang noch möglich wäre. Mit einem richtig gewählten Gang kann man durch einen winzigen Gasstoss das Motorrad etwas aufrichten, sollte es erforderlich sein. Außerdem lässt sich so kraftvoller aus der Kurve herausbeschleunigen.
Neben der Beachtung der reinen Fahrphysik ist für eine erfolgreiche Kurvenfahrt auch die Blickführung von entscheidender Bedeutung.
Berg-/Talfahrt
Beim Bergauffahren fühlt man sich im allgemeinen sicherer als beim Bergabfahren. Eine Rolle spielt dabei sicher auch der bergauf verkürzte, bergab jedoch verlängerte Bremsweg, hauptsächlich tritt jedoch eine Situation auf, die vermutlich jeder Motorradfahrer einmal erlebt hat: Bergab bremsen ist furchteinflößend. Man verkrampft und hat das Gefühl, das Motorrad verhalte sich instabil. Besonders extrem ist diese Erfahrung auf Supersportlern, mit ein Grund, warum dieser Typ für Fahranfänger nicht die beste Wahl sind.
Meistens wird dieses Gefühl der Unsicherheit durch den „Abstützeffekt“ hervorgerufen. Fährt man bergab, stützt man sich mit den Armen ab. Noch mehr beim Bremsen, die Arme stützen fast die gesamte Last des Oberkörpers, sie sind angespannt, man kann nicht mehr reagieren.
Abhilfe bietet hier sich nicht mit den Armen abzustützen, sondern mit den Knien und Oberschenkeln den Tank als Stütze zu benutzen. Mit Textilkleidung ist dies schlechter möglich als mit Leder. Kniepads sind ebenfalls hilfreich, verändern aber die Optik des Motorrads. Anfangs mag dies sehr schwierig erscheinen, es ist aber nur eine Frage des Trainings der Bauch- und Rückenmuskulatur.
Allgemein hilft hier ein Trick wie er oft in Renntrainings benutzt wird: Wenn man bremst, sollte man in der Lage sein, seine Ellenbogen locker hin- und herzuschwingen, in etwa so, wie man als Kind im Kindergarten die Flügelbewegung von Vögeln nachgeahmt hat. Dies ist natürlich nur möglich wenn die Arme entlastet sind, ist man entspannt, schwindet auch das Angstgefühl beim Bergabbremsen.
Man beachte das der Bremsweg verlängert ist.
Ein anderer Grund ist allerdings auch, dass das Motorrad (Ausnahme: Einige BMW-Modelle , evtl. auch andere Hersteller) beim Bremsen vorne einfedert, und sich die Fahrwerksgeometrie ändert. Da man bergab stärker bremsen muss, ist die Veränderung entsprechend größer. Allgemein kann man sagen das beim Bremsen ein Motorrad sich leichter einlenken lässt, also spontaner reagiert. Dies erzeugt ebenfalls unter Umständen ein Gefühl der Unsicherheit. Auch hier sind die extremsten Auswirkungen bei Supersportlern zu beobachten.
Bremsen
Wird in Geradeausfahrt (not-)gebremst, verlagert sich das Fahrzeuggewicht auf die Vorderachse, entlastet die Hinterachse und führt im Extremfall zum Abheben des Hinterrades (vgl. Stoppie) und darüberhinaus bis zum Überschlag. Beifahrer und/oder (schweres) Gepäck im Koffersystem verstärken diesen Effekt, da der Gesamtschwerpunkt des Fahrzeugs im allgemeinen stärker angehoben als nach hinten verlagert wird. Diese dynamische Radlastverteilung macht die Hinterradbremse für Notbremsungen bis zum Stillstand ungeeignet und es wird allgemein empfohlen sich in solchen Fällen besser auf die Vorderradbremse zu beschränken oder zumindest zu konzentrieren.
Praxistests haben gezeigt, dass der kürzeste Bremsweg mit ABS-Systemen am Motorrad erreicht wird. Ausnahmen bestätigen die Regel, sind aber für den normalen Straßenverkehr irrelevant.
Mehrere Motorradhersteller haben seit längerem Bremssysteme im Angebot, die das Mitbremsen des Hinterrades automatisch übernehmen (sog. Integral- oder Kombibremsen). So wird gerade in den ersten Metern einer Vollbremsung mehr Bremsleistung umgesetzt.